Siebdruck-Geschichte in Europa: So fing es an, so geht es weiter
Schon um die Geschichte des Siebdrucks ranken sich viele Mythen. Doch auch heute werden die Marktchancen des „vierten Druckverfahrens“ oft eher emotional beurteilt. Wie kam der Siebdruck nach Europa, und was noch wichtiger ist, wie und wo wird er auch in Zukunft bleiben?
Die Frühzeit des Siebdrucks
Die Anfänge des Siebdrucks liegen in Asien, kann man oft lesen. Denn dort wurden vielfach Schablonen zur Herstellung einfacher Druckmuster, vor allem auf Textilien eingesetzt. Ab dem 18. Jahrhundert kamen dabei in Japan wohl auch Gewebe-Schablonen zum Einsatz.
Allerdings ist das eine reichlich vereinfachte Darstellung, wie der Schweizer Autor Guido Lengwiler in seinem bereits 2013 erschienenen, grundlegenden Buch „Die Geschichte des Siebdrucks“ darlegt. Es ist derzeit nur noch antiquarisch oder als E-Buch erhältlich. Die für dieses Buch von Lengwiler aufwendig recherchierten Fakten sind auch in diesen Artikel eingeflossen.
Laut Lengwiler wurden offene und perforierte Schablonen von vielen Kulturen zur Dekoration verschiedenster Gegenstände verwendet. Ab dem Mittelalter nutzte man in Europa Schablonen auch als Alternative zur Handkolorierung von einfachen Holzschnitten in großen Auflagen. Auch die französische Pochoir-Technik wird oft als Siebdruck-Vorläufer genannt. Allerdings wurde das vor allem von Künstlern verwendete Verfahren durch den Siebdruck nicht vollständig ersetzt. Denn noch 1947 erschien das Künstlerbuch „Jazz“ von Henry Matisse im Schablonendruck.
Von Links: Selectasine-Druck aus Berlin, ca. 1930 und Ausstellungsplakat Werner Arndt, 1953 (Handsiebdruck). Fotos: Archiv Lengwiler, CC BY-SA 3.0, Werner Arndt, Grafik: S. Angerer
Siebdruck im 19. Jahrhundert
Mit dem Aufkommen von Manufakturen und ersten Industrien etwa ab Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden auch viele neue Aufgaben für Kontore und Amtsstuben. Es ist daher kein Wunder, dass 1878 mit dem „Trypograph“ sowie ca. 1880 mit dem „Cyclostyle“ Kopiergeräte auf der Basis des Schablonendrucks entstanden. Sie waren für die Vervielfältigung von Dokumenten gedacht und gelten als Vorläufer des modernen Siebdrucks. Bis etwa 1900 wurden vor allem in den USA aber unzählige weitere Patente für teilweise hochkomplizierte Systeme zur steglosen Schablonenerstellung erteilt. Oft wurden dafür Drähte und Drahtgewebe verwendet. Die Einsatzmöglichkeiten waren dabei sehr weitgespannt, sie reichten von Beschriftungen für Eisenbahnwagons bis zur Glasdekoration.
Die ersten Grundlagen-Patente, die den Übergang von der Beschriftungs- zur Drucktechnologie markierten, werden jedoch Antoine Vericel und Hiram Deeks zugeschrieben. Beide waren europäische Migranten der ersten Generation, die an der US-amerikanischen Ostküste tätig wurden.
Produktion von Filzwimpeln als Souvenirs im Siebdruckverfahren (1943). Foto: Tom Parker, Public Domain
Siebdruck-Geschichte im 20. Jahrhundert
Vericel ließ sich 1902 einen Vorläufer des Siebdruck-Karussells patentieren, das vor allem zum Bedrucken von Heimtextilien gedacht war. Deeks arbeitete für seinen 1903 in New Jersey patentierten „Stencil Duplicator“ bereits mit Seidengaze. Auch diese Technologie war vor allem für den Textildruck gedacht. Noch im gleichen Jahr ließ sich Deeks sein Verfahren auch in Frankreich und Großbritannien schützen.
Diese oder ähnliche Workflows wurden in den USA bis ca. 1915 vor allem für das Bedrucken von Filzwimpeln und anderen Souvenirs genutzt. Oft scheinen diese Siebdruck-Pioniere ihre Technologien als Geschäftsgeheimnisse verstanden zu haben, sodass wenig Details bekannt sind. Recht unstrittig ist aber unter Experten, dass sich der grafische Siebdruck hauptsächlich in Kalifornien entwickelte.
Velvetone in San Francisco (ab ca. 1908) gilt daher als erste US-amerikanische Siebdruckerei. 1915 und 1916 folgten ebenda Selectasine sowie Vitachrome in Los Angelos. Zu dem Zeitpunkt wurden bereits erste grafische Arbeiten im Siebdruckverfahren erstellt und vervielfältigt. Fachzeitschriften wie „Sign of The Times“ berichteten schon 1916 erstmals über den Siebdruck, sodass er sich rasch in der boomenden Werbebranche der Westküste verbreitete. Sign of the Times-Autor William Hugh Gordon, ein gebürtiger Kanadier, scheint auch der erste gewesen zu sein, der später Siebe belichtete, um Vorlagen zu erstellen.
Im Jahr 1917 wurde auf der Nationalen Werbeausstellung in St. Louis bereits eine Sonderschau mit etwa 200 im Siebdruck hergestellten Objekten gezeigt. In etwa ab dem Ende des 1. Weltkrieges begannen Unternehmen in Australien, Kanada und vereinzelt auch in Europa als Lizenznehmer der US-Technologie ebenfalls mit der Produktion von Siebdrucken.
Siebdruckerei in Finnland, 1948 Foto: The Finnish Museum of Photography / Fotograf unbekannt
Verbrauchsmaterial als Technologietreiber
In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen entwickelten sich Siebdruck-Handwerk und Maschinen vor allem in den USA erheblich weiter. So wurden Holzrahmen vor allem im Textildruck mit wasserbasierten Tinten von Metallrahmen abgelöst. Käsetuch, das erste, recht grobe Gewebematerial, musste feinster Schweizer Seidengaze weichen. Diese wurde bis nach Ende des 2. Weltkrieges vor allem für den Siebdruck genutzt. Später wurde sie zunächst durch Organdy, dann durch Gewebe aus Nylon und Polyester ersetzt, denn diese sind robuster und maßhaltiger.
Für die Produzenten der Seidengaze war der Siebdruck ein so attraktiver Absatzmarkt, dass sie 1928 ein Selectasine Lizenz-Büro in Berlin mitfinanzierten. Selectasine Berlin verkaufte aber nicht nur Lizenzen, sondern war mit aus dem Londoner Selectasine-Büro geliehenen Zylinderdruckmaschinen auch selbst Hersteller von grafischen Siebdrucken. Etwa um das Jahr 1934 geriet Selectasine Berlin in finanzielle Schieflage und musste schließen.
Obwohl der Siebdruck in Europa zu dem Zeitpunkt noch nicht weit verbreitet war, stellte die Firma Hermann Pröll wohl bereits seit etwa 1926 ölbasierte Farben für Schilderdruck her. Bis heute gilt die Pröll GmbH in Weißenburg als weltweit führend bei der Entwicklung von Spezial-Siebdruckfarben. Marabu, seit mehr als 150 Jahren Farbenhersteller und heute in Tamm beheimatet, brachte mit Marapid A seine erste Linie von Siebdruckfarben erst 1952 auf den Markt.
Ein Mitglied der 1st Topographical Survey Unit beim Siebdrucken von Karten der Provinz Phuoc Tuy (1968) Foto: Copyright abgelaufen - Public Domain
Siebdruck im Sturm der Geschichte: Krieg
Die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre erwies sich zunächst für den grafischen Siebdruck in den USA als positiv. Denn viele Menschen, die sich keine Originalkunst mehr leisten konnten, kaufen nun stattdessen deutlich günstigere Siebdruck-Reproduktionen.
Als die USA dann aber 1941 in den zweiten Weltkrieg eintrat, traf dies die Werbeindustrie zunächst hart. Denn wichtige Rohstoffe wurden rationiert, Fachpersonal eingezogen. In der Kriegswirtschaft ergaben sich für das vielseitige Siebdruckverfahren aber schnell viele neue Anwendungsmöglichkeiten. Das reichte von Beschriftungen für Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge über Kartenmaterial bis hin zu Camouflage-Mustern für Uniformen. Sogar einfache elektronische Schaltkreise wurden ab 1943 in den USA bereits mit Hilfe des Siebdrucks gefertigt.
Daneben entstanden in den USA, teilweise auch in Großbritannien, unzählige, heute ikonische Poster für Militär und Zivilgesellschaft. Diese sind wahrscheinlich der Grund, warum in Kontinentaleuropa meist davon ausgegangen wird, dass der Siebdruck erst mit den US-Truppen Einzug hielt.
Zeitgenössische Siebdrucklinie mit mehreren Farbwerken. Foto: S. Angerer
Siebdruck nach dem zweiten Weltkrieg
In Westeuropa erlebte der Siebdruck in den Aufbaujahren nach dem Ende des zweiten Weltkrieges einen regelrechten Boom. Vor allem in den 1950ern und 60ern sowie bis in die 1970er Jahre wurden viele Siebdruckereien gegründet. Sie boten bald aber nicht nur Produkte für die grafische Industrie wie Poster oder Beschilderungen an. Auch in der Textilindustrie kam der Siebdruck verstärkt zum Einsatz.
Zusätzlich etablierte sich Siebdruck als Teil der Produktion von Konsum- und Investitionsgütern, etwa bei der Herstellung von Fahrzeugen oder im Apparate- und Maschinenbau. Oft war der Übergang von Druck zu Beschichtung dabei fließend. Der Siebdruck erwies sich außerdem als ideal für den Druck auf Werbeartikeln. Die haptische Werbung gewann vor allem ab den 1990er Jahren stark an Bedeutung im Werbemix.
Nicht wenige etablierte Digitaldruck-Dienstleister wurden vor einer oder zwei Generationen als Siebdruckerei gegründet. Es entstanden außerdem, beispielsweise in Deutschland, bis in die 1990er neue Hersteller von Siebdruckanlagen wie Alraun, RokuPrint oder Thieme.
Schilderdruck im Siebdruckverfahren. Foto: S. Angerer
Fazit: Siebdruck mit Geschichte, aber nicht ohne Zukunft
Ab der Mitte der neunziger Jahre geriet der Siebdruck buchstäblich unter Druck. Denn das digitale Großfoto, später auch der Digitaldruck, waren für viele beliebte Anwendungen besser geeignet, flexibler und kostengünstiger. Bis etwa in die 2010er Jahre wurden daher in der Grafischen Industrie viele Siebdruckanlagen durch schnelle Digitaldrucker ersetzt.
Selbst die Serigrafie (Kunst-Siebdruck und Kunstreproduktion) bekam durch den Fine Art-Druck im Inkjet-Verfahren erhebliche Konkurrenz. Inzwischen scheint sich die Siebdruck-Nachfrage stabilisiert zu haben. Dies gilt vor allem für den industriellen Siebdruck. Denn vielfach lassen sich spezielle Pasten oder Beschichtungen im Inkjet-Druck kaum mit vertretbarem Aufwand aufbringen.
Doch auch in der grafischen Industrie hat der Siebdruck einigen Nischen verteidigen können, etwa bei der Veredelung mit Spezial-Lacken. Für den Textildruck in hohen Auflagen ist der Rotationssiebdruck noch immer sehr gefragt.
In den letzten Jahren führten immer wieder auch hybride Kombinationen aus Siebdruck und Digitaldruck zu ansprechenden Ergebnissen, etwa bei der Herstellung von Verpackungen. Es sieht also so aus, als ob sich die Geschichte des Siebdrucks auch im 21. Jahrhundert weiter entfalten wird …
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