Die neue Wirklichkeit am POS und was sie für Digitaldrucker bedeutet
Die Corona-Krise setzt dem stationären Handel zu. Welche Folgen hat das für die Digitaldruck-Dienstleister mit Schwerpunkt POS, und was können sie jetzt tun?
In den letzten Monaten hatten Digitaldrucker mit Umsatz-Schwerpunkt auf Materialien für den POS keine leichte Zeit. Erst waren zwei Monate lang viele Einkaufsmöglichkeiten geschlossen. Dann kam das Geschäft vielerorts wieder in Gang. Doch viele Händler orderten nur relativ zögerlich Material für die Verkaufsförderung. Zu Recht, wie es scheint. Denn gerade leeren sich die Innenstädte wieder, womöglich steht auch in Deutschland ein neuer Lock-Down bevor. Corona-Virus killt den POS-Printer? Ganz so einfach ist es allerdings nicht.
Das lange Siechtum der Ladenzeile
Bildunterschrift: Attraktive POS-Konzepte mit „Einkaufserlebnis“ wie hier im Bikini Berlin zogen im Sommer 2020 bereits wieder viele Käufer an. Foto: S. Angerer
Leere Ladenzeilen, übervolle oder verlassene Fußgängerzonen, Berge von Paketen jeden Hausflur: Wie ein Brennglas hat COVID-19 sichtbar gemacht, dass der stationäre Handel seit Jahren im Ungleichgewicht ist. Die Gründe für ein verändertes Einkaufsverhalten sind vielfältig. Zu den wichtigsten gehören zum Beispiel
- Demografie
- Örtliche Veränderungen in der Kaufkraft
- Neue Produktpräferenzen
- Mobilitätsverhalten
- Wanderungsbewegungen
- Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum
- Mega-Stores und Einkaufszentren
- Online-Shopping.
Allerdings füllten sich attraktive Einkaufs-Destinationen wie beispielsweise die Innenstädte und Nobel-Meilen in Hamburg, Berlin und München nach dem Ende der Beschränkungen Anfang Mai 2020 auch recht schnell wieder.
Auch attraktive Klein- und Mittelstädte, ebenso wie manche Einkaufszentren und Outlet-Villages konnten sich im Sommer 2020 nicht über Besucher- und Käufermangel beklagen. Dort, wo die Käufer strömten, zog die Nachfrage nach POS-Material im Sommer 2020 wieder erheblich an.
Denn es geht vielen Menschen – gerade beim Wochenendeinkauf – nicht mehr rein um den Warenerwerb. Sondern um das Einkaufserlebnis, gerne auch mit Freunden und Familie. „Shopping“ zur Freizeitgestaltung, der City-Bummel als „Event“, diese Entwicklung ist spätestens seit der Jahrtausendwende bekannt. Und sie hat der Digitaldruck-Branche einen jahrzehntelangen Boom bei der Gestaltung und Produktion von POS-Material und Laden-Dekoration beschert.
Denn das Einkaufserlebnis muss inszeniert und das Szenario in schneller Abfolge verändert werden, will man das Publikum weiterhin in die Läden ziehen. Das hat dazu geführt, dass Marken und Händler, aber auch Einkaufsgemeinschaften, City Partner und Betreiber von Retail-Immobilien enorme Budgets steckten in
- POS-Displays
- Schaufenstergestaltung
- Ladenbau
- Themengezogene oder saisonale Dekorationen
- Großplakate
- Wandverkleidungen…
Mit Corona ist alles anders – auch am POS
Bildunterschrift: Der Trend zum „Event-Shopping“ hat eine große Menge attraktiver POS-Applikationen hervorgebracht. Doch in der Krise wird auch am Marketing-Material gespart. Foto: S. Angerer
Digitaldrucker mit Spezialisierung auf POS-Material und Ladenbau haben also bis 2019 von einem Trend zum „Event-Shopping“ im stationären Handel profitiert. Dieser entwickelte sich scheinbar unabhängig zu den vielerorts schon stark einbrechenden Umsätzen an weniger attraktiven Standorten und bei nicht so „angesagten“ Produkten.
Spätestens mit dem Beginn der „zweiten Welle“ des Virus und ihren Ausgangs- und Öffnungsbeschränkungen sowie der teilweisen Maskenpflicht auch draußen ist das „Einkaufserlebnis“ allerdings stark getrübt. Die Anzahl der Käufer in den Fußgängerzonen nimmt wieder stark ab.
Ob und in welchem Umfang der „POS-Event“ ein Revival erlebt, wird stark vom weiteren Verlauf der Pandemie abhängen. Das hat massive und andauernde Folgen für die Nachfrage nach digital gedruckten POS-Applikationen.
In China, wo das Virus offiziell (derzeit) als besiegt gilt, scheint der Hunger nach dem Shopping-Erlebnis sehr schnell wieder aufgeflammt zu sein. Es sollen sich sogar erhebliche Nachhol-Effekte beobachten lassen. Die Läden werden wieder aufwendig dekoriert, POS-Applikationen boomen. Inwieweit das in Deutschland und Europa auch der Fall sein wird, lässt sich derzeit schlecht seriös einschätzen.
Denn je länger die Einschränkungen dauern, desto mehr wird sich Retail-Landschaft verändern. Schon jetzt geben immer mehr lokale und mittelständische Anbieter auf. Die Zahl der Abnehmer von POS-Material sinkt also. Hinzu kommt der Corona-bedingte Digitalisierungs-Schub.
Er ist dafür verantwortlich, dass viele Großunternehmen in der Krise ihre Workflows auf den Prüfstand gestellt und modernisiert haben. Das dürfte den Trend zur Digital Signage noch befeuern. Denn Bildschirme können zentral gesteuert und blitzschnell aktualisiert werden. Das analoge POS-Poster kann da nicht mithalten. Es ist daher möglich, dass es bald zum Nischenprodukt wird.
Dort, wo Shops konsequent auf Digital Signage umgestellt werden, entfällt auch das meiste andere POS-Material wie etwa Wandbespannungen oder Bodengrafiken. Denn riesige Displays mit Bewegtbildern fesseln die Aufmerksamkeit der Käufer bereits vollständig.
Was bedeuten die Umbrüche am POS für Digitaldrucker?
Deshalb ist 2020 wohl eher nicht mit einer verstärkten Nachfrage an saisonalem POS-Material zu rechnen. Womöglich werden sogar bereits avisierte Kampagnen verschoben. Das könnte vor allem dann passieren, wen es zu einem zweiten, flächendeckenden Lock-down in Deutschland kommt.
Die fortdauernde Notwendigkeit, Hygiene- und Abstandsregeln durchzusetzen, bietet aber auch eine große Chance für Digitaldrucker. Das gilt vor allem dann, wenn sie entsprechende Lösungen anbieten können. Mitte des Jahres wurden Läden, Taxis, ÖPNV, Museen, Kinos und andere Begegnungstätten in atemberaubender Geschwindigkeit mit provisorischen Bodengrafiken, Abstandhaltern und Schutzscheiben versehen.
Viele dieser Ad-hoc-Lösungen sind, der Situation angemessen, ästhetisch wenig ansprechend. Oft erwiesen sie sich auch als nicht besonders haltbar. Es ist also damit zu rechnen, professionelle, schön designte POS-Applikationen, die bei der Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln helfen, in den nächsten Monaten eher noch stärker gefragt sein werden.
Große Marken werden zudem Schutz- und Abstandsprodukte passend zur Corporate-Identity einkaufen wollen. Schon jetzt steigt die Nachfragen deutlich, sie reicht vom Spuckschutz für die Kassenkraft bis hin zum Mund-Nasenschutz mit Logo. Mit ihren guten Kontakten in die Läden und ihrer Erfahrung in der Retail-Welt sind Digitaldrucker mit Schwerpunkt POS hier als Lieferanten geradezu prädestiniert.
Neue Nischen erobern
Bildunterschrift: Der Trend zum individuellen Wohnraum-Dekor dürfte sich mit der COVID-19-Krise noch verstärken. Foto: S. Angerer
Digitaldrucker, die einen großen Teil ihrer Erlöse mit POS-Material erwirtschaften, werden sich in den kommenden Monaten wahrscheinlich zusätzlich nach neuen Nischen umsehen müssen. Freiwillig oder erzwungen werden viele Menschen dauerhaft mehr Zeit zuhause verbringen. Das sollte die Nachfrage ankurbeln etwa nach
- Individualisierten Heimtextilien
- Digital gedruckten Tapeten und Bildern
- Raumteilern und Akustik-Wänden für den Home-Office-Bereich.
In vielen Branchen ist zudem der Trend zum Home-Office bereits wieder rückläufig. Das bedeutet, dass in Behörden und Organisationen ebenfalls dauerhafte Sicherheits- und Hygiene-Produkte benötigt werden, die eine Zusammenarbeit unter Corona-Bedingungen ermöglichen. Diese sollen ansprechend, sicher, leicht verständlich und haltbar sein. Dazu müssen sie an bestehende Einrichtungskonzepte angepasst werden. Das ist eine ideale Aufgabe für den Digitaldruck. Hier könnte also eine komplett neue Nische für die Branche entstehen.
In den kommenden Monaten für Digitaldrucker mit Scherpunkt POS-Material noch mit einigen Turbulenzen zu rechnen. Es bieten sich allerdings auch ungeahnte Möglichkeiten, mit innovativen Produkten zur Pandemie-Eindämmung völlig neue Märkte zu erschließen. Diese können weitgehend mit bereits vorhandenen Maschinen für Digitaldruck und Weiterverarbeitung bedient werden. So lässt sich so manches Unternehmen retten – und womöglich viele Leben. Und wann hat man diese Gelegenheit schon mal?
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